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Praxisbeispiel Brühl

In 16 Monaten bei vollem Lohn zum Berufsabschluss –
Förderung der Umschulung zur Produktionsfachkraft Chemie bei der START NRW GmbH, Brühl

Die START NRW GmbH ist ein Personaldienstleister der „etwas anderen Art“. Getragen von den Verbänden der nordrhein-westfälischen Wirtschaft, dem Land NRW, den kommunalen Spitzenverbänden, der Evangelischen Kirche, den Wohlfahrtsverbänden und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) hat sich das Unternehmen zum Ziel gesetzt, arbeitssuchende Menschen sozialverträglich und dauerhaft in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Arbeitnehmerüberlassung wird hier also in erster Linie als eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt verstanden. Einer der über ganz NRW verteilten Standorte von START NRW liegt südlich von Köln in Brühl, vielen Menschen bekannt durch den Freizeitpark „Phantasialand“. Weniger bekannt ist, dass auch die chemische Industrie in der Region stark vertreten ist und seit Jahren oft und gerne mit START NRW kooperiert.

Aaron Knappstein, Niederlassungsleiter von START NRW am Standort Brühl und auch verantwortlich für den Standort Troisdorf, macht die Besonderheit der Region deutlich. „Der Standort Brühl ist im Gegensatz zu vielen anderen Standorten in der Arbeitnehmerüberlassung sehr stark vom Bedarf an qualifizierten Fachkräften geprägt. Wir sind seit über 25 Jahren stark verwurzelt in der chemischen Industrie, die besonders in den Chemieparks in Wesseling und Hürth die Industrielandschaft prägt. Dadurch haben wir eine besondere Expertise entwickelt, wenn es um Arbeitskräfte in der chemischen Industrie geht.“ In der Branche seien tatsächlich fast ausschließlich ausgebildete Fachkräfte gefragt. Begründet liege dies in den hohen Anforderungen an die Arbeitssicherheit, die für die chemische Industrie gesetzlich gefordert sind. Dementsprechend stünden, wenn es um Weiterbildungen geht, nicht Teilqualifikationen im Fokus, sondern immer der nachträgliche Erwerb von Berufsabschlüssen. Besonders der zum Chemikanten (dreijährige Ausbildung) und zur Produktionsfachkraft Chemie (zweijährige Ausbildung).
Auf diese spezielle Situation hat START NRW reagiert. In einem ersten Projekt wurden vor rund fünf Jahren Menschen mit Fluchthintergrund, die aus ihren Heimatländern Erfahrungen in der Chemiebranche mitbrachten, im Rahmen des Vorläuferprogramms „Wegebau“ zu Produktionsfachkräften Chemie ausgebildet. Zu Beginn des Jahres 2019 weitete START NRW in Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit Brühl diesen Ansatz dann im Rahmen des damals neuen Qualifizierungschancengesetzes (QCG) auf Menschen ohne Berufsabschluss aus.

Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Akteuren Arbeitsagentur und START NRW ist spätestens seit dem Projekt für Menschen mit Fluchthintergrund eng.

Kristin Thurn ist Teamleiterin im gemeinsamen Arbeitgeber-Service der Agentur für Arbeit Brühl und des Jobcenters Rhein-Erft. Ihr Team ist im Südkreis des Rhein-Erft-Kreises Ansprechpartner für alle Unternehmen in dieser Region.

Die Unternehmen sprechen den Arbeitgeber-Service vor allem dann an, wenn sie qualifizierte Kräfte suchen. „Der Arbeitsmarkt ist aber quasi leergefegt“, erklärt Kristin Thurn. „Deshalb beraten wir oft dahingehend, im eigenen Unternehmen anzusetzen, also bei langjährig beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mit denen die Betriebe gute Erfahrungen gemacht haben, und diese zu qualifizieren. Dabei kommt dann das Gespräch zwangsläufig auf das QCG.“ Von Vorteil sei es, dass das Gesetz nicht nur bei Beschäftigten greife, die schon länger in einem Unternehmen tätig sind, sondern auch, wenn Menschen unmittelbar vorher eingestellt werden. „Eine Qualifizierungsförderung nach dem QCG kann dann direkt am ersten Arbeitstag beginnen“, erklärt Kristin Thurn. „Das heißt, wir als Agentur für Arbeit können einem Unternehmen einen bisher arbeitslosen Menschen als Mitarbeiter oder Mitarbeiterin anbieten und die Förderung der passenden Qualifizierung gleich mitliefern.“

Im Jahr 2020 hat die Agentur für Arbeit Brühl über einhundert Menschen nach dem QCG fördern können, im ersten Halbjahr 2021 konnten die Vorjahresergebnisse noch einmal gesteigert werden. Ein Indiz dafür, dass sich die Arbeitswelt verändert und die Arbeitgeber Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Zukunft aktiv vorbereiten.

Man habe gemeinsam mit START NRW überlegt, wie man ein Beispielprojekt für die Chemie-Branche initiieren kann, erklärt Kristin Thurn. Das stellte sich zunächst wegen der extrem hohen Anforderungen der Unternehmen an die Bewerber nicht ganz einfach dar. Auch gebe es von der Unternehmensseite gewisse Ressentiments gegenüber Fachkräften, die quasi über die ‚zweite Schiene‘ ausgebildet werden. Das Motto habe deshalb gelautet: „Lasst uns ein Projekt konzipieren, bei dem wir möglichst viel Verantwortung verteilen.“

Letztendlich ließen sich zwei Unternehmen der Chemie-Branche auf einen solchen Ansatz ein. Die Teilnehmenden an dem Projekt rekrutierten sich zum Teil aus Kräften, die schon zuvor bei den Chemieunternehmen beschäftigt waren und von diesen für eine Qualifizierung vorgeschlagen wurden, zum Teil waren es auch Arbeitslose, die in Folge eines durch die Agentur für Arbeit begleiteten Auswahlverfahrens von START NRW eingestellt wurden. Insgesamt elf Beschäftigte im Alter zwischen 25 und über 40 Jahren nahmen an dem Projekt teil. Die Umschulungskosten wurden auf Basis der rechtlichen Möglichkeiten zu 100 Prozent durch die QCG-Förderung abgedeckt, die Lohnausfallkosten für die Schulungstage der Teilnehmenden ebenfalls. „Die Teilnehmenden absolvierten über 16 Monate zweimal in der Woche den Theorieunterricht beim Bildungsträger und arbeiteten die verbleibenden drei Tage beim Chemieunternehmen. So konnten sie sofort das theoretisch Erlernte in die Praxis umsetzen. Die Umschulung schloss dann mit der Gesellen-Prüfung zur Produktionsfachkraft Chemie ab“, erläutert Aaron Knappstein. Während der gesamten Zeit erhielten die Teilnehmenden eine Bezahlung nach Tarif. „Das ist eine Kombination, die für Bewerber extrem interessant ist, weil sie schon in der Weiterbildungszeit ein gutes Gehalt verdienen.“

Ein wichtiger Faktor, so Aaron Knappstein, denn es handele bei den Teilnehmenden häufig um Menschen, die auf Grund Ihres Lebensalters bereits eine eigene Familie, vielleicht auch Wohneigentum haben - also finanzielle Verpflichtungen. Wenn sie zwischen Umschulungs- oder Ausbildungsgehalt und einer höheren Entlohnung für eine Helfertätigkeit zu wählen hätten, würden sie sich sonst häufig für letztere entscheiden.

Der Auswahlprozess durch die Agentur für Arbeit stelle einen weiteren wichtigen Faktor dar. „Die Bewerber durchlaufen bei uns ein gestuftes Verfahren, damit im Vorfeld eine möglichste sichere Prognose darüber abgegeben werden kann, ob die Kandidatinnen und Kandidaten die geplante Berufsausbildung auch erfolgreich abschließen werden“, sagt Kristin Thurn. Die Teilnehmenden sollten in diesem Fall gemäß den Vorgaben des QCG über 25 Jahre alt und ungelernt sein. Wobei als ungelernt nach dem QCG auch Personen gelten, die mindestens vier Jahre nicht in ihrem erlernten Beruf gearbeitet haben. Tätigkeiten in der chemischen Industrie stellen zudem überdurchschnittlich hohe Anforderungen an die körperlichen Voraussetzungen. Das hängt damit zusammen, erklärt Kristin Thurn, dass die Produktionskräfte in der Chemie-Branche beispielsweise auch in der betrieblichen Feuerwehr eingesetzt werden. Körperliche Fitness ist hier natürlich eine Grundvoraussetzung. Dies kann die Agentur für Arbeit im Vorfeld durch ihren ärztlichen Dienst abklären und bestenfalls bestätigen lassen. Generell muss sie im Rahmen des QCG im Vorfeld einschätzen, ob die Teilnehmenden Aussicht auf einen erfolgreichen Abschluss haben. So kann etwa auch die Prüfung der Motivation und des schulischen Grundlagenwissens durch den berufspsychologischen Service zu dem Prüfungsprozedere gehören.

Auf der anderen Seite sei die gegenüber der normalen Ausbildung auf 16 Monate verkürzte Umschulung - schneller zum Ziel - aber auch ein gutes Argument sowohl aus Sicht der Teilnehmenden als auch aus Sicht der Betriebe. Diese Verkürzung ist vom QCG auch so vorgesehen. Nach den gesetzlichen Bestimmungen darf eine Umschulung nur zwei Drittel der normalen Ausbildungszeit in Anspruch nehmen.

Als weiteren Erfolgsfaktor nennt Kristin Thurn den lokal etablierten Bildungsträger, die Rhein-Erft-Akademie, der viel Erfahrung in der Zusammenarbeit mit den großen Chemie-Unternehmen und der Ausbildung angehender Chemikanten bzw. Produktionsfachkräfte Chemie habe.

„Das gesamte Projektdesign hat dazu beigetragen, dass wir alle Teilnehmenden durch die Prüfung bekommen haben! Eine Quote, die eher selten ist bei sonstigen Umschulungen“, stellt Aaron Knappstein fest. Die elf Teilnehmenden des Projekts haben nach Ende der Umschulung im Mai 2020 alle eine Beschäftigung gefunden. Zum Teil sind sie von den Projekt-Unternehmen, zum Teil von anderen Chemie-Unternehmen übernommen worden. Kristin Thurn bewertet das abgeschlossene Projekt ebenfalls sehr positiv: „Es ist im Vorfeld viel Arbeit, man muss sehr genau hinschauen, zum Beispiel auch so planen, dass die Prüfungstermine der IHK in den Projektablauf passen, aber es war ein richtiges Erfolgsprojekt.“ Generell sei die Förderung nach dem QCG ein großes Investment, aber absolut sinnvoll.

Schon allein deshalb, weil Ungelernte stärker von Arbeitslosigkeit bedroht seien, als Menschen mit Berufsausbildung. „Dazu kommt, dass das Rheinische Revier durch den schrittweisen Rückzug des Braunkohleabbaus sowie der Braunkohleverstromung einen starken Strukturwandel durchlebt.

In diesem Kontext ist das QCG für uns ein wichtiges Förderinstrument, um den betroffenen Beschäftigten den Weg in andere Branchen zu ebnen.“

Eine Fortsetzung war nach dem großen Erfolg des Projekts zwar sowohl vonseiten der Agentur für Arbeit Brühl als auch von START NRW erwünscht, wurde aber zum einen durch die Corona-Pandemie ausgebremst, zum anderen „trauen sich andere Unternehmen der Branche nicht so richtig an die Sache ran“, sagt Aaron Knappstein. „Das ist sehr schade, weil es auch in diesen Betrieben genügend Menschen gibt, die gute Arbeit leisten, aber keinen Abschluss haben.“ Im Endeffekt sei die Qualifizierung der Beschäftigten für alle Seiten positiv. „Man muss den Unternehmen vermitteln, dass sie durch eine berufliche Qualifizierung von Beschäftigten etwas für den Verbleib der Expertise im Betrieb und auch etwas für die Bindung der Kräfte an das Unternehmen tun. Ein Beispiel wie unser Projekt zeigt, wie gut es für alle Beteiligten laufen kann.“

Kontakte

Kristin Thurn
Teamleiterin im gemeinsamen Arbeitgeber-Service der Agentur für Arbeit Brühl und des Jobcenters Rhein-Erft
Tel.: 02232 9461104
bruehl.arbeitgeber@arbeitsagentur.de

Aaron Knappstein
Niederlassungsleiter START NRW GmbH Standort Brühl
Tel.: 02232 9456415
aaron.knappstein@start-nrw.de


Ansprechperson in der G.I.B.

Julian Agel, Tel.: 02041 767311
j.agel@gib.nrw.de


Autor

Frank Stefan Krupop, Tel.: 02306 741093

 

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